So feierten unsere Großeltern Weihnachten
von Sebastian Pokojski (Text & Fotoreproduktion)
Christine blickt auf das Foto auf ihrem Wohnzimmertisch: „Da hatten wir vielleicht einen krummen Baum!“ und lächelt. Die gebürtige Wienerin hatte ihre Kindheit in Österreich verbracht und ist mit 18 Jahren zu Verwandten nach Recklinghausen ausgewandert und lebt hier immer noch. Mit strahlenden Augen erzählt sie von den Weihnachtserinnerungen in der Millionenstadt nach Kriegsende in den 50er Jahren. „Meine Mutter hat schon im September mit den Einkäufen für Weihnachten begonnen.“ Und wie der windschiefe Tannenbaum in die Wohnung an der Kohlgasse gefunden hatte, erinnert sie sich noch genau: „Unser Großvater Stanislaus ist mit uns, wie jedes Jahr, am Vormittag des Heiligen Abends im Schnee und bei Kälte durch den 5.Bezirk (Wien ist in 23 Bezirke aufgeteilt), also Margareten, gelaufen. In einigen Parks waren Verkäufer, die Bäume angeboten haben. Nachdem wir den Baum ausgesucht haben, wurde er verschnürt und von meinem Bruder und Großvater nach Hause getragen. Erst beim Auspacken bemerkten wir, wie krumm er eigentlich geraten war. Wir haben den Baum dann doch aufgestellt und meine Mutter brachte Kerzen, Engelhaar und silbernes Lametta an. Dann bekam der Baum noch eine aufgesetzte Spitze.“
Christines Mutter bereitete inzwischen das Essen vor, während ihr Vater die Zeit in seinem Zimmer verbrachte. Es gab traditionell am Heiligen Abend Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. „Aber am 1. Weihnachtstag hat die Lebensgefährtin meines Großvaters immer für uns eine Gans gebraten,“ erinnert sich Christine.
Weihnachtliche Stimmung kam schon morgens durch die Lieder aus dem Radio auf.
Nach der Bescherung ging die Familie in die Christmette. „Meine Mutter hat danach jedes Jahr große weiße Kerzen in Erinnerung an die Verstorbenen in den doppelt verglasten Fenstern aufgestellt.“
Und Christine erinnert sich noch genau an ihr Lieblingsweihanchtsgeschenk aus dieser Zeit: „Als ich die langersehnten Schlittschuhe bekam, musste ich natürlich sofort rauf aufs Natureis.“ Im benachbarten 12. Bezirk gab es auch eine Kunsteislaufbahn in der Stadthalle. Wenige Jahre später hat sie dort die Rolling Stones bei einem Konzert gehört.
„Wien hat wunderbare Ecken und seinen eigenen Charme, aber meine Heimat ist Recklinghausen,“ sagt sie und hier feiert sie dieses Jahr Weihnachten.