Manuel, der kleine Schutzengel
Eine Geschichte von
Dirk Hoffmann
11. Kapitel
Ist die Aufgabe bald erfüllt?
„Weißt du, was ich gerne einmal wieder machen würde?“, fragte Manuel als die beiden Engel abends in seinem Zimmer saßen.
„Nein, keine Ahnung“, erwiderte Johanna, deren Gedanken um Ingo und Iris kreisten. Sie wollte die beiden unbedingt miteinander versöhnen.
„Ich möchte fliegen“, erklärte Manuel und flatterte mit seinen Flügeln, „ich habe schon beinahe vergessen, dass ich Flügel auf dem Rücken habe. Wir sind ja fast schon Menschen“.
„Ich wünschte wir wären tatsächlich Menschen. Das würde uns sicher helfen, sie besser zu verstehen“, sinnierte Johanna, „aber fliegen wäre auch toll, ja. Unfassbar, dass Matthias meint, der Rat sei mit uns zufrieden. Was haben wir denn schon geleistet?“
Manuel legte seine ausgebreiteten Flügel wieder zusammen.
„Möglicherweise sehen die mehr als wir“, vermutete er.
„Oder die sehen voraus“, schlug Johanna vor.
„Was tun die?“
„Nur so ein Gedanke. Ich meine, vielleicht kann der Rat irgendwie in die Zukunft sehen. Vergiss es“. Johanna ging zur Tür. „Ich gehe schlafen, Manuel. Gute Nacht“, sagte sie und verließ das Zimmer.
„Schlaf gut“, rief Manuel ihr nach. Es wurde still. Grübelnd trat er ans Fenster. Er fragte sich, ob Johanna recht haben könnte. War es dem Ältestenrat möglich in die Zukunft zu sehen?
„Habt ihr Iris heute schon gesehen?“, fragte Ingo als die Jungengel ihn vor Schulbeginn an der Klassentür trafen.
„Nein“, antworten Manuel und Johanna gleichzeitig.
„Ich würde gerne noch einmal mit ihr sprechen. Ich habe mich gestern so dumm verhalten. Jetzt habe ich sie für immer verloren“, fuhr Ingo traurig fort.
„Das glaube ich nicht“, versuchte Johanna ihren Schützling zu beruhigen, „gehen wir erst einmal in die Klasse“.
Der Schultag verging schnell und ohne besondere Vorkommnisse. Johanna hielt in jeder Pause Ausschau nach Iris. Das Mädchen ließ sich nicht sehen. Manuel war etwas erfolgreicher. Er konnte noch einmal mit Stefan sprechen. Der war ja in ihrer Klasse und musste nicht gesucht werden.
„Stefan hat mir heute erzählt, dass seine Eltern ihm immer vorgehalten haben, sie wünschten sich er wäre so klug und so fleißig wie Ingo“, berichtete Manuel Johanna nach Schulschluss am Ausgangstor. „Erinnerst du dich? Ingo hat ihm Nachhilfe gegeben haben unsere Eltern gesagt. Wenn er nicht bald bessere Noten schreibt soll er auf ein Internat. Deshalb hasst er ihn so. Weil Stefan stark und beliebt ist konnte er die meisten anderen Schüler auf seine Seite bringen. Inzwischen tut es ihm leid. Ich habe ihm versprochen, dass ich versuche ihn mit Ingo für ein Gespräch zusammen zu bringen.“
„Wäre auf jeden Fall schön“, freute sich Johanna, „wenn wir es dann noch schaffen, dass Ingo Iris verzeiht, wird es hier an der Schule vielleicht wieder schöner“.
„Für heute ist Ingo wohl schon weg“, überlegte Manuel.
„Ja, seine Mutter hat ihn gerade abgeholt“, bestätigte Johanna, „er wollte sich noch von dir verabschieden, aber ich wusste nicht wo du warst“.
„Ich war mit Stefan noch vor dem Klassenzimmer“, erklärte Manuel.
„Ach so“, kommentierte Johanna, Mehr zu sagen, bekam sie keine Zeit.
„Hallo ihr zwei“, grüßte eine ihnen wohlbekannte Stimme. Matthias stand plötzlich vor ihnen, in einen blauen Jogginganzug gekleidet und mit einer roten Baseballmütze auf dem Kopf.
„Hallo Matthias“, grüßten Johanna und Manuel.
„Wie geht es euch?“, wollte der Älteste als erstes wissen.
„Ich denke gut“, antwortete Johanna.
„Ich glaube, wir kommen hier immer besser zurecht“, fügte Manuel hinzu.
„Da will ich euch nicht widersprechen“, meinte Matthias, „ihr seid noch besser, als ich dachte“.
„Wieso? Wir haben doch noch gar nichts erreicht“, wunderte sich Manuel.
„Doch, ihr seid kurz davor eure erste Aufgabe zu lösen“, fuhr Matthias fort.
„Wie bitte?“, fuhren beide Jungengel gleichzeitig auf.
„Seid ihr nicht kurz davor Ingo und Iris zu versöhnen? Manuel, hast du nicht eben erzählt das sogar Stefan sich bei Ingo entschuldigen möchte? Ich finde, das ist schon eine ganze Menge“. Mehr sagte der Älteste nicht. Ehe Manuel und Johanna seine Worte verarbeiten konnten war er bereits davon gejoggt.
„Der ist ja gut“, sagte Manuel schließlich, „was soll denn das jetzt heißen?“
„Dass unser Auftrag wohl lediglich darin bestand oder besteht, Ingo mit seinen ehemaligen Freunden zu versöhnen“, vermutete Johanna, „kann das tatsächlich schon alles sein?“
„Machen wir einfach weiter“, sagte Manuel“, ich habe das Gefühl, du hast recht“.
„Gehen wir erst einmal nach Hause“, entschied Johanna.
„Nein, bitte warte noch“, erklang hinter ihnen eine Mädchenstimme.
„Iris“, rief Johanna und drehte sich um, „wo warst du? Ich habe dich den ganzen Tag gesucht“.
„Ich war so traurig. Ingo war so abweisend“, seufzte Iris.
„Ja war er, das kam alles zu plötzlich für ihn“, erklärte Johanna, „Ingo musste viel einstecken, da fällt es ihm nicht so leicht deine Entschuldigung anzunehmen und vorne anzufangen. Aber ich glaube, er hat dich immer noch gern. Lass ihm Zeit. Und verstecke dich nicht. Gib ihm auch die Chance auf dich zuzugehen“.
„Ja gut“, willigte Iris mit gesenktem Kopf ein.
„Vielleicht interessiert es dich, dass auch Stefan sich mit Ingo versöhnen möchte“, übernahm Manuel das Wort.
„Stefan, im Ernst?“, fragte Iris überrascht.
„Ja, ich habe mich vorhin ausführlich mit ihm unterhalten. Er hatte große Wut auf Ingo, weil seine Eltern von ihm erwartet haben so klug zu sein wie er. Das Lernen fällt ihm aber nicht so leicht. Er bekommt ständig Ärger mit seinen Eltern. Sie wollen ihn auf ein Internat schicken, wo es sehr streng zugehen soll. Er hat all seine Wut an Ingo ausgelassen“. Manuel erzählte auch Iris noch einmal alles über sein Gespräch mit Stefan. „Ich möchte auch Stefan helfen“, schloss er seinen Bericht.
„Das gibt’s ja nicht“, sagte Iris überrascht, „das hätte ich niemals erwartet“.
„Eigentlich müssen wir euch nur morgen einmal alle drei zusammenbringen“, überlegte Johanna laut.
„Gute Idee“, stimmte Manuel zu.
„Ok, ich bin auf jeden Fall dabei“, rief Iris begeistert.
„Gut, ich könnte Ingo zum Treffpunkt lotsen“, schlug Johanna vor, Und du Manuel lotst Stefan hin“.
„Lässt sich machen“, bejahte Manuel, „wann und wo?“
„In der ersten großen Pause hier am Tor?“, fragte Iris.
Manuel und Johanna stimmten zu. Nachdem alles geklärt war machten sich alle auf ihren jeweiligen Heimweg.
Am Abend saßen die Jungengel in Johannas Zimmer. Beide flattern mit ihren Flügeln. Sie waren froh gestimmt. Viele Fragen waren nun beantwortet.
„Wenn Matthias recht hat, könnte es sein, dass wir morgen hier auf der Erde fertig sind“, meinte Manuel, „was kommt denn wohl danach?“
„Der Ältestenrat überhäuft uns mit Lob und wir legen unseren Schutzengel- Eid ab“, erwiderte Johanna und lachte.
„Wir haben uns so schwergetan und doch scheint jetzt alles so leicht“, sprach Manuel weiter, „ich freue mich schon darauf, den Himmel wiederzusehen“.
„Ich auch“, schloss Johanna sich seinen Worten an.
Nur wenig später schliefen beide Jungengel friedlich in ihren Betten.