Die Weihnachtsfee

von Dirk Hoffmann

Teil 4

Kathi dachte in den folgenden Tagen oft an die Weihnachtsfee. Laut Omas Geschichte würde sie zu Weihnachten kommen und jedem, der an sie glaubte, einen Wunsch erfüllen. Kathi hatte in dieser Zeit nur einen Wunsch, die Weihnachtsfee zu sehen. Jeden Abend musste Oma Edelgard ihr die Geschichte erzählen. In Kathis Vorstellung wurde das Bild der Weihnachtsfee immer deutlicher. Zwei Tage vor Weihnachten beschloss sie, die Weihnachtsfee zu malen. Während sie sie mit ihren Stiften auf dem Papier zeichnete, klangen die Worte ihrer Großmutter ihr im Ohr. Dass sie dabei beobachtet wurde, bemerkte sie nicht.

Samira saß auf ihrem Lieblingsplatz auf dem großen Baum hinter dem Haus. Sie konnte gut durchs Fenster in Kathis Zimmer schauen. Auf Wunsch der Weihnachtsfee flog sie jeden Tag einmal her, um zu sehen, was an diesem Ort geschah. Es missfiel ihr zwar, dass sie am Tag fliegen sollte, aber der Weihnachtsfee konnte sie einfach nichts abschlagen. An diesem Tag sah sie etwas, das ihr unheimlich war. Das Mädchen saß an einem Tisch und erstellte ein Bild. Dieses Bild zeigte eine Frau, die der Weihnachtsfee sehr ähnlich sah, ein weißes Pferd gab es auch. Als Samira die Schneeeule auf dem Baumast entdeckte, fiel sie beinahe von ihrem Ast herunter.
„Das gibt es doch nicht“, erschrak die Eule, „sie muss uns gesehen haben. Das muss ich unbedingt der Weihnachtsfee erzählen“.
Aufgeregt mit ihren Flügeln schlagend, flog Samira zurück in den Wald.

Als Samira im Wald eintraf, wartete die Weihnachtsfee bereits auf sie. Wie ein Schneeball schoss die Eule auf sie zu und landete über ihr im Baum.
„Du bist aber aufgeregt heute“, sagte die Fee, „ist etwas passiert?“
„Das kann man wohl sagen“, stellte Samira fest, „Kathi hat uns gesehen, als wir gemeinsam dort waren. Ob du es, glaubst oder nicht, sie hat ein Bild erschaffen, ich will keine Schneeeule mehr sein, wenn die Figuren auf dem Bild nicht wir waren“.
„Kathi hat was?“
„Sie hat uns gemalt, ja so nennen die Menschen das wohl“.
„Aber das ist doch toll“, freute sich die Fee, „es gibt doch keinen besseren Beweis dafür, dass sie an mich glaubt. Das ist wirklich eine gute Nachricht. Übermorgen ist Weihnachten und du hast einen Menschen gefunden, der wirklich an mich glaubt. Die Welt des Übersinnlichen ist noch nicht verloren. Oh Samira, ich bin so glücklich“.
Samira entspannte sich langsam. Gähnend riss sie ihren Schnabel weit auf.
Wenn du so glücklich bist, könntest du mir jetzt sicher erlauben, ein wenig zu schlafen".
„Ja, schlafe du. Morgen kannst du auch hierbleiben. Begleite mich nur noch am Weihnachtsabend zu Kathi", sprach die Fee, während Samira ihren Kopf ins Gefieder steckte und einschlief.

Endlich war der Weihnachtsabend da. Kathi hoffte von ganzem Herzen, dass die Weihnachtsfee kommen würde. Sehnsüchtig betrachtete sie den großen, bunt geschmückten Weihnachtsbaum, der nun das Wohnzimmer zierte. Andreas stand neben ihr und zählte die leuchtenden Kerzen auf den Ästen des Baumes.
„Boah, sechzig Kerzen“, verkündete Andreas schließlich.
„Stimmt genau“, gab ihm die Mutter recht, nachdem sie die letzte Weihnachtskugel aufgehängt hatte, „jetzt müsst ihr mal das Zimmer verlassen. Geht am besten in eure eigenen Zimmer."
Kathi wusste, dass ihre Eltern nun Pakete mit Geschenken unter den Baum legen würden. Auf diese konnte sie sich aber nicht wirklich freuen. Sie konnte nur an eines denken. Auf einmal hatte sie eine Idee. Sie lief in ihr Zimmer holte ihr Bild von der Weihnachtsfee und legte es draußen unter den Baum. Vielleicht würde die Fee es ja sehen wollen. Dazu musste sie kommen. Kathi hockte sich hinter den Schneemann, den sie die ganze Zeit gepflegt hatte. Es hatte in diesem Jahr den ganzen Dezember geschneit.

                         
ONsüd-Archiv-Zeichnung: Anne Twachtmann

„Das ist ein schönes Bild“, hörte Kathi eine sanfte Frauenstimme sagen, „ich danke dir“.
Kathi drehte sich erschrocken um. Sie blickte direkt in die Nüstern des Schimmels, der seinen Kopf zu ihr herabbeugte. Das Pferd schnaubte und blies ihr warme Luft ins Gesicht.
„Hab keine Angst, dass ist nur Niko, mein Weihnachtsschimmel“, sprach die unbekannte Stimme, „und ich bin die Weihnachtsfee. Hallo Kathi“.
Mit weit geöffnetem Mund richtete Kathi sich auf. Als sie aufrecht stand, sah sie sich einer Frau gegenüber, die der Weihnachtsfee auf ihrem Bild sehr ähnlich sah. Auf der Schulter der Frau saß eine weiße Eule und sah sie aus großen Augen an. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Konnte das wirklich wahr sein?
„Bist du wirklich die Weihnachtsfee?“, fragte Kathi mit zittriger Stimme.
„Ich bin es. Ich bin hier, weil du an mich glaubst und weil du mich gerufen hast“, erklärte die Fee, „komm näher, ich möchte dich richtig ansehen. Du hast ein hübsches Gesicht“.
„Danke“, antwortete Kathi verlegen und ging ein Stück näher an die Weihnachtsfee heran. Sie fühlte, dass die Frau wirklich die Weihnachtsfee war.
„So und jetzt wünsch dir etwas, Kathi“.
„Mein Wunsch ist bereits erfüllt. Ich habe mir gewünscht du würdest kommen und du bist hier. Was kann ich mir noch mehr wünschen?“
Die Fee streichelte Kathi sanft über die Wange und sah auf den Schimmel.
„Bist du dir da ganz sicher? Ich kann tief in dir lesen, dass du noch einen großen Wunsch hast. Hast du dir nicht schon immer gewünscht, einmal reiten zu dürfen?“
Kathi sah nun ihrerseits auf den Schimmel. Das stimmte, diesen Wunsch verspürte sie tatsächlich manchmal. Warum sonst, hingen in ihrem Zimmer so viele Pferde an den Wänden. Aber wie konnte sie das wissen? Jetzt war sie ganz sicher, dass die Weihnachtsfee vor ihr stand.
„Komm. Sitz auf“, sagte die Fee und half ihr in den Sattel, „Niko wird dich vorsichtig tragen“.
Die Fee führte Niko zweimal die Straße hinauf und hinunter mit einer überglücklichen Kathi auf dem Rücken des Pferdes, die es sichtlich genoss.
„Jetzt wird es langsam Zeit zu gehen“, meinte die Fee, als Kathi wieder auf dem Boden stand, „ich danke dir, dass du an mich glaubst“.
„Musst du wirklich schon gehen? Ich habe dir noch gar nicht richtig gedankt“.
„Du musst mir nicht danken“.
„Doch muss ich“, sagte Kathi und schlang ihre Arme um den Hals der Fee, „danke“.
Einige Augenblicke genoss die Fee die Umarmung des Mädchens, ehe sie sie sanft wegschob.
„Und dir danke ich ebenso, Niko“. Kathi streichelte dem Schimmel über den Hals.
Ein letztes Mal sahen sich Fee und Mädchen an. Beide lächelten.
„Du wirst noch öfter reiten“, waren die letzten Worte, die Kathi aus dem Mund der Fee hörte. Kurze Zeit später waren Weihnachtsfee, Niko und auch die Eule verschwunden.

„Kathi wo steckst du“, rief Andreas, der an der Haustür stand, „alle warten auf dich.
„Ich komme“, rief sie zurück.
Bald stand sie gemeinsam mit ihrem Bruder erneut vor dem Weihnachtsbaum. Diesmal lagen für jeden zwei Geschenke darunter. Nachdem alle gemeinsam ein Weihnachtslied gesungen hatten, durften die Geschenke ausgepackt werden. Für Kathi gab es ein großes und ein kleines. In dem großen fand sie einen hölzernen Schimmel, mit dem sie spielen oder ihn auch nur als Dekoration für ihr Zimmer nutzen konnte. Das kleine enthielt ein Bild von einem Reiterhof und einen Gutschein für Reitunterricht. Sofort fielen ihr die letzten Worte der Fee wieder ein. „Danke“, rief Kathi und umarmte jedes einzelne Familienmitglied.

Die Weihnachtsfee, nebst Schimmel und Samira waren inzwischen zurück im Wald und feierten Weihnachten mit den Tieren. Die Weihnachtsfee war in diesem Jahr sehr glücklich. Hatte sie doch bereits befürchtet, die Menschen glaubten an gar nichts mehr. Die Begegnung mit Kathi gab ihr große Hoffnung.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kultur von Kids