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Manuel, der kleine Schutzengel 

Eine Geschichte von

Dirk Hoffmann


12. Kapitel
Die neuen Schutzengel

Am folgenden Morgen erwarteten die Himmelmanns Manuel und Johanna mit einem aufwendigeren Frühstück als üblich. Die Tafel war reichlich gedeckt mit allerlei Speisen, die es normalerweise nicht gab. Es gab Rührei, gebratenen Speck, einen großen Obstkorb und sogar Kuchen. Ein ganz besonderer Duft erfüllte den Raum, der verkündete, dass an diesem Tag etwas Wichtiges geschehen sollte.
„Guten Morgen ihr zwei“, sagte Julia Himmelmann als sie die Ankömmlinge bemerkte.
„Ist heute etwas Besonderes?“, fragte Manuel, dem in diesem Moment auffiel, dass der Tisch auch für mehr Personen gedeckt war als gewöhnlich.
Noch ehe er eine Antwort erhalten konnte klingelte es an der Tür. Günter Himmelmann öffnete die Tür. Manuel und Johanna konnten kaum fassen was sie sahen. Ingo trat herein. Sein Gesicht zierte ein so fröhliches Lächeln wie sie es noch nie zuvor bei ihm gesehen hatten.
„Guten Morgen“, grüßte der Junge dessen trauriges Leben die beiden versuchten schöner zu machen. Jetzt wirkte er tatsächlich so, als hätten sie es geschafft.
Wenig später läutete die Klingel erneut. Der nächste Besucher war Matthias. In seinem Gesicht sah man ein Lächeln das große Zufriedenheit ausstrahlte. Als er seinen Mantel ablegte, kam sein Engelsgewand zum Vorschein. Sogar seine Flügel wurden sichtbar. Manuel und Johanna schreckten überrascht auf, während Ingo das hinnahm als sei er es gewohnt Engel zu sehen. Was war denn hier los?
„Siehst du auch was ich sehe?“, flüsterte Manuel an Johanna gewandt.
„Ja, ich glaube schon“, erwiderte Johanna.
Matthias begrüßte zunächst die Himmelmanns, danach Ingo, und die Jungengel kamen zuletzt an die Reihe.
„Ich sehe, ihr seid verwirrt. Das wäre ich an eurer Stelle jetzt wohl auch“, wandte Matthias sich verständnisvoll an Manuel und Johanna, „aber entspannt euch, ihr werdet es sehr bald verstehen“.
„Dann wären wir wohl komplett“, stellte Julia Himmelmann fest und bat alle sich am Tisch zu versammeln. Alle bis auf Manuel folgten ihrer Bitte. Er war so durcheinander, dass er die Aufforderung seiner Menschenmutter überhörte.
„Setz dich Manuel“, bat Julia Himmelmann erneut.
Während Manuel sich endlich auf dem Stuhl neben Johanna niederließ, verteilte Günter Himmelmann Kaffee und Kakao. Matthias erhob sich, um noch einmal ein paar Worte an die Anwesenden zu richten.
„Ich möchte jetzt nicht allzu viel erklären“, sprach der Älteste, „ich gratuliere Manuel und Johanna zu ihrer bestandenen Schutzengelprüfung. Der Engelrat freut sich, dass die beiden ihre Aufgabe so vorbildlich gelöst haben“.
„Wieso gelöst?“, fuhr Johanna aufgeregt dazwischen.
„Immer mit der Ruhe“, mahnte Matthias, „wir werden euch gleich über alles aufklären. Aber lasst uns erst einmal frühstücken. Anschließend haben wir genügend Zeit, um uns über alles zu unterhalten. Habt ein wenig Geduld. Seid euch gewiss, dass ich stolz bin auf euch. Guten Appetit“.
Manuel und Johanna sahen einander erneut irritiert an. Es blieb ihnen nur eines übrig, sie mussten abwarten. 

In der nächsten halben Stunde wurde schweigend gegessen und getrunken. Als alle satt waren verkündete Matthias, dass die Zeit gekommen war, den Ort zu wechseln. Wenige Minuten später fanden sich Manuel und Johanna im Himmel wieder. Sie standen in der Halle des Lebens, vor dem Rat der Engel. An ihrer Seite stand Ingo. Jetzt trug er ein Engelsgewand, genau wie sie, und Flügel hatte er auch. Offensichtlich war Ingo ebenfalls ein Engel.

„Willkommen zurück im Himmel alle miteinander“, erklang die Stimme des Engelratsvorsitzenden, „meiner erster Dank gilt heute Ingo, dafür dass er seine Rolle so gut gespielt hat. Ich möchte jedoch Manuel und Johanna endlich aufklären. Sicher seid ihr nun sehr überrascht, festzustellen, dass Ingo ebenfalls ein Engel ist. Das waren sie eigentlich alle. Iris, Stefan und auch Ingos Mutter. Wir konnten euch schließlich nicht auf die Menschen loslassen, ohne euch ein wenig zu testen“, erklärte Matthias, „wir mussten sehen, wie ihr mit den Menschen umgeht. Wir haben mit allen Beteiligten stets in Verbindung gestanden und so erfahren, wie gut ihr alles gemeistert habt“.
„Dann war ja überhaupt niemand in Not“, wandte Manuel mit leichter Empörung ein.
„Nein“, fuhr Matthias fort, „diesmal war niemand wirklich in Not. Beim nächsten Mal wird das allerdings anders sein. Wir wissen nun, dass wir uns auf euch verlassen können. Also werden wir euch als Schutzengel einsegnen und ihr bekommt sicher schon sehr bald eine echte Aufgabe. Die Aufgabe euch einzusegnen geben wir in Ingos Hände. Er wurde im vorigen Jahr ebenfalls von seinem ersten Schützling eingesegnet. Auch er hat damals seinen Test mit Bravour bestanden und ist seither ein wichtiger Teil der Schutzengelgruppe, so wir ihr es in Zukunft ebenfalls sein werdet. Ingo, du hast das Wort, stell dich den beiden erst einmal richtig vor“.
„Ich freue mich euch beide einsegnen zu dürfen“, nahm Ingo das Wort auf, „es wird euch jetzt vielleicht nicht mehr so sehr wundern, wenn ich euch sage, dass Ingo nicht mein richtiger Name ist“.
„Moment“, unterbrach Johanna Ingo, „das geht mir jetzt alles viel zu schnell. Es war doch noch überhaupt nichts gelöst. Ich hätte so gerne erfahren, ob du dich mit Iris versöhnt hättest oder mit Stefan. War denn das nicht die Aufgabe?“
„Eure Aufgabe war nur, dem Engelrat zu zeigen, ob ihr mit den Menschen umzugehen versteht“, erklärte Ingo, „die Versöhnung war ja auf den Weg gebracht, damit war eure Aufgabe erfüllt“.
„Trotzdem wäre es schön gewesen, zu sehen wie ihr euch versöhnt“, stellte Manuel fest, „na gut, kläre uns weiter auf“.
„Also mein richtiger Name ist Lukas. Ich bin seit einem Jahr Schutzengel und darf somit neue Schutzengel einsegnen. Seid ihr zwei nun bereit, Schutzengel zu werden?“
Manuel und Johanna dachten kurz und antworteten schließlich beide mit einem Kopfnicken.
„Dann begrüße ich euch mit dem Segen des ehrwürdigen Engelrates feierlich in der Gruppe der Schutzengel“, sagte Lukas und legte Manuel seine linke und Johanna seine rechte Hand auf den Kopf, „von jetzt an und für alle Zeit sollt ihr beide Schutzengel sein“.
Der ganze Engelrat wiederholte im Chor: „Von jetzt an und für alle Zeit sollt ihr beide Schutzengel sein“.
„Jetzt seid ihr Schutzengel“, bekräftigte Matthias noch einmal, „eure erste Aufgabe werdet ihr jetzt noch nicht erhalten. Ihr habt erst einmal genug geleistet. Wir freuen uns, zwei tüchtige neue Schutzengel zu bekommen“.

Nachdem ihre Einsegnung vorüber war saßen Manuel und Johanna gemeinsam mit Lukas im Wolkencafé. Vor ihnen auf dem Tisch standen drei Tassen himmlische Schokolade.
„Es tut mir leid, dass wir euch so an der Nase herumgeführt haben“, entschuldigte sich Lukas.
„Das war ja sicher bei deiner ersten Aufgabe auch nicht anders, denke ich“, meinte Johanna.
„Ja das stimmt. Ich war genauso verwirrt wie ihr. Vielleicht kann ich ja als Lukas auch euer Freund sein“, überlegte Lukas laut.
„Aber unbedingt“, erwiderten die zwei neu-eingesegneten Schutzengel gleichzeitig. So saßen sie noch lange im Wolkencafé und feierten ihre Freundschaft.

Am späten Abend flog Manuel mit seiner Schwebewolke noch einmal hinaus, um die Erde zu betrachten. Er dachte darüber nach, was ihn dort unten wohl sonst noch erwartete und wie bedrohlich er alles empfand, als er zum ersten Mal hinunter gesehen hatte. Angst verspürte er keine mehr. Da war nur Neugierde. Er freute sich beinahe darauf endlich wirklich gebraucht zu werden.
„Ich gratuliere, mein kleiner Schutzengel“, sagte hinter ihm eine sanfte wohlbekannte Stimme.
„Großvater“, rief Manuel, „schön, dass du da bist“.
„Weißt du noch wie du dir Sorgen gemacht hast, du müsstest da unten alle beschützen?“, fragte der Großvater und drückte seinen Enkel ganz fest an sich.
„Wie könnte ich das vergessen?“, fragte Manuel und lächelte seinen Großvater an.