Direkt zum Hauptbereich

 

Manuel, der kleine Schutzengel 

Eine Geschichte von

Dirk Hoffmann


10. Kapitel
Versöhnung?

Am Morgen nach dem Gespräch mit Iris wurde Johanna von einem lauten Klappern geweckt. Draußen
war ein Unwetter aufgezogen. Große Hagelkörner schlugen an ihr Zimmerfenster, außerdem regnete es stark. Johanna blickte erschrocken um sich. So etwas hatte sie bisher im großen Herzen gesehen. Damals fand sie es spannend, aber der Gedanken, dass sie auch bei diesem Wetter wohl zur Schule gehen musste, behagte ihr nicht. War da nicht noch ein Klopfen, das sich vom Hagel unterschied?
„Johanna, bist du wach, darf ich hereinkommen?“, hörte sie Manuel fragen.
„Ja komm herein, die Tür ist offen“, antwortete sie.
„Entschuldige, ich konnte nicht mehr schlafen, das Wetter hat mich geweckt. Das habe ich noch nie so erlebt“, entschuldigte sich Manuel.
„Ich doch auch nicht“, erwiderte Johanna, „ich dachte schon jemand zertrümmert mein Zimmer“.
Manuel begann zu lachen, Johanna lachte mit. Nach ein paar Sekunden beruhigten sie sich und setzten sich gemeinsam ans Fenster, um noch einmal über Iris zu sprechen. 
„Wir wollen auf jeden Fall versuchen Ingo davon zu überzeugen, dass er sich mit Iris versöhnt“, meinte Johanna, „sie ist ein liebes Mädchen, denke ich“.
„Das denke ich auch“, stimmte Manuel zu, „aber ich möchte unbedingt auch einmal mit Stefan sprechen“.
„Wieso mit Stefan?“, fragte Johanna irritiert.
„Weil er doch offensichtlich das Hauptproblem darstellt. Ich möchte einfach seine Version hören. Vielleicht ist er ja auch nicht ganz so schlecht, wie es scheint“.
„Vielleicht hast du recht“, schloss sich Johanna seiner Idee an, „ich glaube, wir sollten frühstücken gehen“.
Am Frühstückstisch erkundigten sich die beiden Engel bei ihren Eltern, ob diese etwas über Iris oder Stefan sagen konnten, dass brachte sie allerdings nicht wirklich weiter. Als es Zeit wurde zur Schule zu gehen, regnete es nicht mehr, jedoch war es im Gegensatz zum Vortag deutlich kühler geworden, und ein grauer Himmel blickte auf sie herab. Auf dem Schulhof erkundigte sich Johanna, ob Manuel immer noch mit Stefan sprechen wollte, was er bejahte. In der ersten großen Pause ging Manuel auch direkt auf Stefan zu. Stefan blickte ungläubig auf, als er den Engel auf sich zukommen sah. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Eine Weile standen die zwei Jungen sich schweigend gegenüber.
„Ist was?“, fragte Stefan mit einem frechen Grinsen im Gesicht.
„Ich würde gerne kurz mit dir reden“, erklärte Manuel.
„Da muss ich erstmal schauen, ob ich noch einen Termin frei habe“, machte Stefan sich wichtig.
Manuel ließ sich nicht beeindrucken. Er trat zwei Schritte auf seinen Mitschüler zu.
„Es geht um dich und Ingo“.
„Mit diesem Streber habe ich nichts zu tun. Über diesen Trottel lohnt sich nicht zu reden“, stellte Stefan fest.
„Ich möchte nur eines von dir wissen“, fuhr Manuel ungerührt fort, „was hat Ingo dir getan, dass du alle gegen ihn aufwiegeltst?“
Der blonde Junge drehte seinen Kopf zur Seite ohne etwas zu sagen. 
„Warum bist du so gemein zu Ingo?“, erweiterte Manuel seine Frage.
„Ingo ist eben ein widerlicher Streber“, sagte Stefan und setzte erneut sein Grinsen auf.
„Du hast ein Problem damit, dass Ingo bessere Noten bekommt, oder? Vielleicht gibt es da auch noch etwas. Willst du es mir sagen?“
Manuel sprach einfach aus, was er dachte. Er wollte sehen wie Stefan reagierte. 
„Gar nichts werde ich dir sagen. Verschwinde und lass mich in Ruhe“, schimpfte Stefan und rannte seiner Clique hinterher. 
Manuel sah seinem Gesprächspartner nach. Er spürte, dass Stefan etwas verbarg, das ihn sehr belastete. Dieses Etwas musste sich irgendwie in Ingo widerspiegeln. Ingo hatte etwas, das Stefan nicht hatte. Aber was konnte das sein?
Zur selben Zeit saß Johanna mit Ingo ein paar Meter weiter auf einer Bank. Johanna überlegte, wie sie Ingo auf Iris ansprechen sollte. Ingo kaute an seinem Frühstücksbrot, es roch nach Salami.
„Ingo“, sprach Johanna schließlich, „darf ich dich etwas fragen?“
„Ja sicher“, antwortete Ingo und blickte von seinem Brot zu Johanna.
„Denkst du manchmal an Iris?“
Ingo seufzte und senkte den Kopf. Johannas Frage schien ihn traurig zu machen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht traurig machen“, sagte Johanna.
„Wie kommst du auf Iris? Kennst du sie?“, wollte Ingo nun wissen.
„Manuel und ich haben Iris gestern kennengelernt“, erklärte Johanna, „sie kam zu uns, um mit uns über dich zu sprechen. Sie erzählte, dass ihr früher Freunde wart“.
„Ja, wir waren die besten Freunde. Leider sind wir das nicht mehr. Zuerst hat sie mich gegen Stefan und die anderen verteidigt, doch eines Tages wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich weiß bis heute nicht warum. Lange habe ich versucht mit ihr zu reden, aber sie hat mich einfach ignoriert“.
Ingo begann zu weinen. Johanna nahm ihn in den Arm, um ihn zu trösten.
„Weißt du, Iris hat noch mehr gesagt. Sie würde gerne wieder deine Freundin sein. Es tut ihr leid. Sie wollte einfach nicht mehr von ihren Mitschülern schikaniert werden. Könntest du dir vorstellen...“
„...mir noch eine Chance zu geben?“
Iris war plötzlich neben Johanna aufgetaucht und vollendete, was diese gerade sagen wollte.
„Hallo Iris, wo kommst du denn her?“, grüßte Johanna verdattert.
„Ich sah euch beide hier auf der Bank sitzen. Ich wusste ja, dass ihr mit Ingo über mich sprechen wolltet. Ich dachte, ich müsste selbst auch mit ihm reden sollte“, erklärte Iris.
Ingo saß da und wusste gar nicht, was er tun sollte. Einerseits war er froh Iris zu sehen, andererseits war es schwer zu vergessen, dass sie ihn im Stich gelassen hatte, als er sie dringend brauchte. Gerade als er sich entschloss Iris direkt anzusprechen, gesellte sich auch Manuel noch zu der Gruppe.
„Hallo zusammen“, grüßte der Engel, „habe ich etwas verpasst?“
„Vielleicht kommst du gerade richtig, um eine Versöhnung zu erleben“, meinte Johanna.
„Iris, ich war so traurig. Warum hast du dich gegen mich gestellt“, fragte Ingo seine ehemalige Freundin.
„Ich wollte das doch nicht“, antwortete Iris, „ich wollte nur in Ruhe gelassen werden. Ich weiß, dass war falsch, ich würde es gerne wieder gutmachen“.
Manuel und Johanna nahmen sich gegenseitig an die Hand, sie hofften sehr, dass Iris und Ingo ihre Freundschaft erneuerten.
Ingo drehte Iris überraschend den Rücken zu, was Iris dazu bewog davonzulaufen.

„Iris, bleib doch hier“, rief Manuel ihr nach, doch es war zu spät.
„Warum hast du ihr den Rücken zugekehrt´?“, wandte Johanna sich an Ingo.
„Ich wollte nur kurz nachdenken, das alles kommt so plötzlich. Glaubst du Iris kommt wieder?“
Ingo senkte erneut den Kopf.
„Zu früh gefreut“, flüsterte Manuel Johanna ins Ohr.
An diesem Tag bekamen sie Iris nicht mehr zu Gesicht. Auch Stefan ließ Ingo den Rest des Tages in Ruhe.
Manuel und Johanna gaben sie Hoffnung auf die angestrebte Versöhnung jedoch noch nicht auf.

Nach der Schule bekam die Familie Himmelmann Besuch von einem Versicherungsvertreter. Der Mann im feinen Anzug entpuppte sich als Matthias.
„Ich bin nur gekommen, um euch zu sagen, dass der Rat sehr zufrieden mit euch ist“, verkündete er.
Die beiden angehenden Schutzengel wussten nicht, was sie sagen sollten, sie selbst hatten eher das Gefühl überhaupt noch nichts erreicht zu haben.