Manuel, der kleine Schutzengel


Eine Geschichte von
Dirk Hoffmann


Kapitel 2

Keine Angst, kleiner Engel!


Schweigend und nachdenklich saß der kleine Engel auf seiner Wolke. Mit großen, weit geöffneten
Augen starrte er auf die Erde hinab. Die Erde wirkte gigantisch groß. Viel größer als er sie sich jemals vorgestellt hatte. Manuel, so hieß der kleine Engel, staunte was er unter sich alles sah. Sah seine Aufgabe vor, all das zu beschützen? Diese Vorstellung beängstigte ihn. Wie sollte er das machen? Hatte er die Kraft für so eine gewaltige Aufgabe? Er glaubte, er würde diese Kraft nicht aufbringen können. Aber wie sollte er das seinen Lehrern sagen? Er schämte sich seiner Angst. Er wollte doch nicht schon vor Beginn seiner Aufgabe versagen. Was konnte er nur tun? Je länger er auf die Erde schaute, umso größer schien diese zu werden.
„Oh nein, kleiner Manuel“, unterbrach plötzlich eine tiefe aber sanfte Stimme Manuels Gedanken, „schäme dich nicht deiner Angst! Angst ist ein Teil des Lebens! Wer keine Angst hat, wird auch nie den Mut haben sie zu überwinden!“
Erschrocken sah Manuel sich um und gewahrte an seiner Seite eine Schwebewolke, die etwas größer war als die seine. Er hatte ihr Kommen gar nicht bemerkt. Folglich hatte er auch keine Ahnung, wie lange sie schon dort war. Als er den Blick hob, sah er in weise, leuchtend blaue Augen. Diese Augen gehörten einem Engel mit großen Flügeln und einem langen weißen Bart. Würdevoll stand er auf seiner Wolke und sah Manuel freundlich und mitfühlend an. Er schien ganz genau zu wissen, was in Manuels Kopf vorging. Das wusste er tatsächlich ganz genau. Engel konnten nämlich, wenn sie wollten, Gedanken lesen. Und dieser Engel konnte Manuel erst recht gut verstehen. Neben Manuel schwebte niemand anders als sein Großvater, Joseph. Ohne den Blick von Manuel abzuwenden setzte er sich hin.
Unsicher sah Manuel seinen Großvater an. Manuel konnte noch keine Gedanken lesen, er war für so etwas noch zu jung. Eines Tages würde er es lernen. Wie gern hätte er jetzt gewusst, was sein Großvater dachte.
Joseph lächelte ihn gutmütig an und sprach: „Mach nicht so ein trauriges Gesicht! Das ist alles gar nicht so schwer! Sei nur nicht so ungeduldig, setze immer nur einen Schritt vor den nächsten! Du wirst sehen, dann ist alles viel leichter!“
„Aber“, fiel Manuel dem alten Joseph ins Wort, „wie soll ich denn bloß eine solche Aufgabe bewältigen?“
„Oh je, oh je!“, erwiderte der alte Engel und lachte verständnisvoll, „Welche Aufgabe denn? Du kennst doch deine Aufgabe noch gar nicht!“ Er hielt einen Moment inne, ehe er ruhig und sanft fortfuhr, „Nein, kleiner Engel, deine Zeit ist noch nicht gekommen! Du wirst noch früh genug erfahren, was deine Bestimmung ist!“
Joseph verfiel erneut in Schweigen. Nachdenklich sah auf die Erde, wo die Menschen ihren verschiedenen Tätigkeiten nachgingen, ohne auch nur etwas von den zwei Engeln zu ahnen, die auf sie herniederschauten. Wie sollten sie auch etwas davon ahnen, wo doch kaum einer von ihnen an die Existenz der Engel glaubte.


Während Joseph so hinunter schaute, wurde Manuel ganz ungeduldig. „Aber wann“, brach es aus ihm heraus, „wann werde ich es erfahren? Sieht meine Aufgabe als Schutzengel denn nicht vor alles dort unten zu beschützen? Großvater, ich kann das nicht!“ Manuel verstummte und wandte traurig den Blick von Mythos ab. „Dreh dich nicht weg“, sagte Joseph einfühlsam, „wie solltest du das denn können? Das könnte nicht einmal ein Gelehrter Engel. Nein, nein“, Joseph schüttelte den Kopf, „das kann niemand! Sag mir, wie kommst du denn nur darauf? Wenn das möglich wäre, gäbe es wohl kaum so viele Engel“.
Mit weit geöffneten Augen sah Manuel nun seinen Großvater an. „Dann, dann“, stotterte er unsicher und seufzte erleichtert, „dann muss ich gar nicht die ganze Erde beschützen? Ich dachte, als ich das alles da unten sah“, er wies mit der Hand auf die Erde, „ich dachte, das alles bedarf meines Schutzes“. Manuel verstummte. Er begann die Erde mit ganz anderen Augen zu sehen. Wie froh war er, dass er doch nicht alles beschützen sollte.
„Alles dort unten braucht Schutz“, antwortete Joseph, „aber ein einzelner von uns kann das alleine nie und nimmer bewältigen! Du wirst einer von vielen Schutzengeln sein. Du musst jetzt Geduld haben. Mehr kann und darf ich dir jetzt noch nicht sagen. Deine Zeit wird kommen. Doch bis dahin hast du noch eine ganze Menge zu lernen“. Mit diesen Worten schwebte Mythos davon.

Der kleine Engel war wieder allein. Jetzt aber war seine Unsicherheit gewichen. Die Erde wirkte nun nicht mehr so beängstigend wie noch vor ein paar Minuten. Wusste er doch jetzt, dass er noch gar keine Aufgabe hatte. Mit Spannung dachte er darüber nach, was da wohl für eine Aufgabe auf ihn wartete. Bis zum Sonnenuntergang beobachtete er die Erde. Bald wurde es Zeit, ins Himmelsgewölbe zurückzukehren.

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